Christiane

 

Es stand ein Sternlein am Himmel,
    Ein Sternlein guter Art;
Das tät so lieblich scheinen,
    So lieblich und so zart!

 

Ich wußte seine Stelle
    Am Himmel, wo es stand;
Trat abends vor die Schwelle,
    Und suchte, bis ich's fand;

 

Und blieb denn lange stehen,
    Hatt' große Freud' in mir:
Das Sternlein anzusehen;
    Und dankte Gott dafür.

 

Das Sternlein ist verschwunden;
    Ich suche hin und her
Wo ich es sonst gefunden,
    Und find es nun nicht mehr.

 

(Sämtliche Werke VI. Teil)

Anm.: Mit 20 Jahren stirbt am 2. Juli 1796 Claudius´ zweite Tochter Christiane an Nervenfieber (Typhus).  Unter dem Titel "Der verschwundene Stern" nehmen Clemens von Brentano und Achim von Arnim das Gedicht "Christiane" in ihrer Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" auf (1805-1808).